Wir sind der Sturm Read online

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  »Auch wenn du dir das wahrscheinlich noch die nächsten fünf Jahre einreden wirst«, sagte Aiden schließlich wieder ernst, »du trägst keine Schuld an diesem Autounfall in Kalifornien. Niemand trägt wirklich die Schuld daran. Du hast mir alles bis ins kleinste Detail erzählt. Das hast du zwar nur ein einziges Mal getan, aber ich erinnere mich an alles. Und so wie ich das sehe, ist das nur eine beschissene Aneinanderreihung noch beschissenerer Umstände gewesen. Du bist doch nicht einmal selbst gefahren, das war immer noch Heather am Steuer. Du kannst dich also unmöglich den Rest deines Lebens damit fertig machen, dass du versucht hast, das Richtige zu tun!«

  Überrascht blickte ich ihn an. Es war unsere stille Übereinkunft, nicht über diese Nacht zu sprechen. Niemals. Mein Herz hämmerte wild gegen meine Rippen. Natürlich war es meine Schuld gewesen. Ich hatte in diesem Auto gesessen, hatte Heather mit meinen Worten fertig gemacht. So, wie sie geweint hatte, lag es doch ziemlich nah, dass sie wegen mir die Kontrolle über den Wagen verloren hatte, weil sie zu aufgebracht gewesen war – nicht wegen des unablässigen Regens und sich anbahnenden Sturms. Und der Moment, in dem ich ihr ins Lenkrad gegriffen hatte, war der Anfang vom Ende gewesen. So oder so: Die Verantwortung für diese Nacht musste ich ganz allein übernehmen. Im Gegensatz zu Aiden glaubte ich nicht immer an das Gute in jedem Menschen, nicht seit ich wusste, wie schief das bei mir selbst gelaufen war.

  Abwartend sah mein bester Freund mich an. Ahnte er, wer seine Mitbewohnerin tatsächlich war? Wieso sollte er? Die Wahrheit war doch beinahe schon absurd. Ich hatte mich an die Hoffnung geklammert, mein Verstand hätte mir in diesem Moment auf dem Highway lediglich einen Streich gespielt. Mir Erinnerungen vorgespielt, die keine waren. Dass das Mädchen mit den blauen Augen unmöglich Louisa gewesen sein konnte. Auch wenn ich im Gegensatz zu ihr an Schicksal glaubte: Wie groß musste ein Zufall sein, um das Mädchen von damals und mich ausgerechnet am RSC zusammenzubringen? Das war unrealistisch, der Stoff aus Filmen – und zwar denen ohne Happy End.

  Während mein Vater im Krankenhaus hauptsächlich genervt gewirkt hatte, weil der Unfall seines Sohnes sein Weihnachtsfest ruiniert hatte, und nach wenigen leeren Worthülsen wieder verschwunden war, war die Maske meiner Mutter wie bereits wenige Stunden zuvor ein Stück verrutscht. Da waren zwar die blonden, akkurat in Wellen gelegten Haare gewesen, das perfekt sitzende Kostüm und der unbewegte Gesichtsausdruck – doch mit geröteten Augen hatte sie ununterbrochen an meinem Bett gesessen, sogar noch mehr als Luca, den ich irgendwann nach Hause geschickt hatte. Ich glaube, das war das erste Mal, dass sie sich gegen den Willen meines Vaters stellte, um bei mir bleiben zu können. Für gestohlene Momente war sie einfach meine Mom gewesen. Und da hatte ich gewusst: Wenn ich jemanden nach dem Namen des Mannes, der damals gestorben war, fragen konnte, dann sie. Ich wollte verdammt nochmal sichergehen.

  Michael Davis, hatte sie gesagt .

  Davis.

  Ich hatte Louisas Dad getötet. Allein diesen Satz zu denken, schien unwirklich, und trotzdem trieb er diesen alles verzerrenden Schmerz durch meinen ganzen Körper.

  »Wieso sagst du mir das alles, Cassel?«, fragte ich betont gelassen, konnte die Unruhe in meiner Stimme aber nicht verbergen.

  »Weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass du seit Weihnachten nicht mehr du selbst bist, seit diesem Unfall. Ehrlich gesagt, bist du genauso wie vor fünf Jahren, als Heather sich von dir getrennt hat!« Aiden rieb sich zögernd über das Kinn und fuhr dann etwas leiser fort: »Ich befürchte einfach, dass das alles jetzt bei dir wieder hochgekommen ist, und möchte vermeiden, dass sich dieser ganze Scheiß wiederholt …«

  Stille. Weil er recht hatte. Meine Dämonen waren präsenter als jemals zuvor.

  Stille. Weil die Wahrheit so erschreckend war, dass mir selbst die Worte dafür fehlten.

  Ich steckte mir also eine Zigarette an, statt in meinem leeren Inneren nach verfluchten Sätzen suchen zu müssen, und blies den Rauch Richtung Himmel, zusammen mit meinem Atem, der wegen der eisigen Luft in kleinen Wölkchen aus mir herausströmte.

  »Was, wenn ich dir sage, dass ich das Mädchen gefunden habe?«, fragte ich mit kratziger Stimme.

  »Welches Mädchen?« Aiden drehte sich zu mir und blickte mich verständnislos an.

  »Dieses Mädchen von damals«, erklärte ich und rieb mir über den Bart. »Das in dem anderen Auto saß und das ich aus dem Wagen gezogen habe. Das Mädchen, das …« Ich schluckte, und die Worte verloren sich genau wie der Rauch meiner Zigarette in der kalten Luft.

  »Wie –«, setzte Aiden gerade an, doch da schüttelte ich schon den Kopf.

  »Okay«, sagte Aiden gedehnt und zögerte. »Krass! «

  Ich ließ mich nach hinten fallen und schloss die Augen. Alles drehte sich. Meine Gedanken, meine noch beschisseneren Gefühle.

  Ein leises Rascheln, und ich hörte, wie Aiden sich neben mir ebenfalls auf den Rücken sinken ließ.

  »Was soll ich jetzt tun?«, fragte ich mehr mich selbst als ihn. Ich klang so furchtbar verloren, und ich hasste mich dafür. Aber dafür, dass ich genau in diesem Moment Louisa mit zerzausten Feuerlocken vor mir sah, wie sie mich mit ihren vollen Lippen erst anlächelte und mit diesen dann ein Ich liebe dich formte … dafür hasste ich mich sogar noch mehr.

  »Gar nichts!«, sagte Aiden schließlich bestimmt.

  Ich öffnete blinzelnd die Augen: Über mir nichts als grelles Weiß und graue Wolken. »Gar nichts?«, wiederholte ich überrascht und drehte den Kopf zu Aiden. Gerade noch hatte mir eine sarkastische Bemerkung auf der Zunge gelegen, doch es war nicht fair, Aiden anzufahren. Das war mir sogar in meinem benebelten Zustand nur allzu bewusst.

  »Genau. Du sollst gar nichts tun, außer dich auf dein eigenes Leben zu konzentrieren. Du hättest an Weihnachten sterben können, bist du aber nicht. Also sieh es als zweite Chance, als Neuanfang oder sonst etwas. Was willst du tun, Berger? Dich bei diesem Mädchen melden? Ihr von dieser Nacht erzählen? Alte Wunden aufreißen? Sie aus ihrem Leben reißen? Was auch immer du dir überlegt hast, zu tun: Lass es und konzentriere dich auf dich selbst!«

  Langsam nickte ich. Und in diesem Augenblick, mit dem Campus unter meinen Füßen und den dichten Wolken über mir, wurde mir eine Sache bewusst: Aiden hatte recht. Louisa durfte die Wahrheit niemals erfahren. Es würde sie zerstören und dieses Feuer in ihr erneut zum Brennen bringen. Ich musste sie loslassen. Und wenn ich ein noch größeres Arschloch sein musste, damit sie kapierte, dass ich nicht gut für sie war, dann würde ich das ihr gegenüber eben sein. Nur so würde sie wieder frei sein können.

  Louis a

  Sehnsucht, Wut, Traurigkeit und Verwirrung. Dieses Durcheinander an Gefühlen war es, das mich unablässig in Gedanken begleitete. Die schmerzhafte Erinnerung an den ausdruckslosen Blick in Pauls sonst so warmen Augen versteckte ich dabei tief hinter all meinen Mauern, wo sie hoffentlich niemand sehen würde. Ich besuchte meine Vorlesungen und Kurse, arbeitete im Firefly und hatte wieder angefangen, regelmäßig laufen zu gehen, weil ich zwischen dem Grün der Tannen, Kies und vom Schnee aufgeweichten Waldboden einfach nur sein konnte – doch die Strecke, die Paul so oft mit mir gelaufen war, mied ich. Genau wie die Lichtung, auf der wir Tausend stille und laute Momente erlebt hatten.

  Am Wochenende waren Trish, Bowie und ich bei Mel zum Essen eingeladen gewesen. Robbie war für ein paar Tage mit seinen Freunden weggefahren, und Mel hatte sich einen Mädelsabend mit uns gewünscht. Selbst gemachte Pizza, verführerisch duftendes Karamellpopcorn und Marys süßes Glucksen, als wir uns die Realverfilmung von Cinderella ansahen. Und während ich mich darüber beschwerte, dass ich in Richard Madden einfach niemals jemand anderen als Robb Stark sehen würde, erklärte Bowie Mary, dass ein Mädchen im echten Leben keinen Prinzen bräuchte, der sie rettete. Ein aufgeregtes Blitzen in Marys grünen Kulleraugen, ein Klatschen mit ihren Patschehänden, und Bowie lehnte sich wieder zufrieden zurück. Ich hatte ihr nicht gesagt, dass die Kleine nur deshalb so begeistert war, weil Trish ihr hinter Bowies Rücken Grimassen schnitt. Ein Augenzwinkern von Trish, ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen und für einen kurzen Moment dachte ich nicht an Paul.

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bsp; Am Sonntag begleitete ich Aiden zu seiner Bandprobe. Die Stimmung bei Goodbye April schien zwischendurch zwar immer noch etwas angespannt zu sein, doch so wie sich die Jungs am Ende lachend alle ein High Five gaben, waren sie mit dem Ergebnis zufrieden. Und ich hatte eine Gänsehaut auf meinen Armen, weil Aiden zum ersten Mal den neuen Text, den wir zusammen geschrieben hatten, gesungen hatte.

  Ich versuchte, mich mit dem Leben abzulenken, mit der Welt außerhalb meines Kopfes. Dass der Poetry Slam, für den Trish mir an meinem Geburtstag Karten geschenkt hatte, heute Abend im Book Nook stattfand, erleichterte mich. Und weil wir auf der Suche nach einer Geburtstagskarte für Bowie waren, gingen wir schon nachmittags in die Buchhandlung mit den dunkelgrünen Fensterrahmen. Am Ende waren es drei Romane, die ich mir kaufte, mit drei verschiedenen Welten, in die ich so schnell wie möglich eintauchen wollte. Ganz unten im Queeren Beet empfahl Trish mir Call Me By Your Name , die Geschichte von Elio, Oliver und einem italienischen Sommer in den 80er-Jahren. Sie machte einen Witz, den ich nicht verstand. Irgendetwas über Pfirsiche, zu denen sie nie wieder ein normales Verhältnis haben würde. Ich hatte schon viel von der Verfilmung gehört, wollte vorher aber unbedingt das Buch lesen. In dem Regal Liebe, die dem Tod geweihtist griff ich nach Du neben mir, aus dem mit Klassiker, die es immer noch wert sind beschrifteten Regal wanderte eine mit wunderschönen Ornamenten verzierte Ausgabe von Sinn und Sinnlichkeit in meine Hände.

  »Denkst du, die wird ihr gefallen?«, wollte Trish wissen und hielt eine Karte in die Höhe. Sie war aus dem Ständer neben dem Holztresen mit der altmodischen Kasse. Eine Sammlung liebevoll bedruckter und bunter Rechtecke. In dem zwischen Trishs Fingern war in sanften Farbtupfen ein hellblauer Himmel zu sehen, der mit bunten Luftballons voll hing. Don’t be scared to fly high, because it will inspire others stand darunter.

  Zustimmend nickte ich. »Die ist perfekt für Bowie!«, sagte ich und strich mir die Locken nach hinten. Zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag hatten Aiden, Trish, Paul und ich ihr vor einer gefühlten Ewigkeit einen Gutschein für einen Fallschirmsprung gekauft. Das perfekte Geschenk für das Mädchen mit den bunten Röcken, das Abenteuer liebte wie sonst nichts auf der Welt.

  The Bean stand in geraden Buchstaben über dem neuen Café am Ende der Straße, das wir durch die vom Himmel fallenden Flocken zielstrebig ansteuerten, um dort bis zum Beginn des Poetry Slams noch zu lernen. Darunter war das Bild einer stilisierten Kaffeebohne. Beim Eintreten begannen meine Finger sofort zu kribbeln. Es war die plötzliche Wärme, die mir wohltuend unter die Jacke kroch. Zwar waren es vom Book Nook hierher zu Fuß nur ein paar Minuten, der Januar war aber doch ziemlich kalt. Diese Art Kälte, die durch jede Schicht Kleidung zu dringen schien.

  Als uns neben der Wärme auch noch der Geruch frisch gemahlener Kaffeebohnen umwehte, seufzte ich laut auf. Trish tat es mir gleich. Ihre Wangen waren vom eisigen Wind gerötet. Ein Blick auf die breite schwarze Tafel hinter dem Tresen, auf der in einer geschwungenen Schrift die Getränke aufgelistet waren, und Trish suchte sich einen Matcha Latte, ich mir einen White Chocolate Mocha aus. Mit unseren Getränken steuerten wir wenige Minuten später zwei Plätze direkt an dem breiten Fenster an, um möglichst viel Licht zum Lernen zu haben.

  The Bean war nicht gemütlich auf eine klassische Art wie das Firefly, sondern auf diese moderne Hipster-Art. Zum einen waren da die geometrischen Formen und geraden Linien, viel Schwarz und Grau. Glänzendes Metall. Aber gleichzeitig viele Holzelemente, liebevolle Details und wahnsinnig viel Grün. Auf jedem Tisch standen frische Blumen, und von den Decken hingen in unterschiedlichen Höhen Hängepflanzen. Ein leuchtender Himmel aus hellem und dunklem Grün, der mich an den Wald und das Gefühl von Freiheit erinnerte.

  »Ahnt Bowie eigentlich irgendetwas?«, fragte ich Trish, als wir uns setzten. Sie organisierte die Überraschungsparty im Heaven, doch ich wusste, dass es ihr bei keinem Menschen so schwerfiel, ein Geheimnis für sich zu behalten, wie bei Bowie.

  Ein zufriedenes Grinsen umspielte ihre Lippen. »Natürlich nicht, Lou!«, erwiderte sie fast schon beleidigt und spielte mit dem Ende des dicken Zopfes, zu dem ihre Haare heute geflochten waren. »Sie denkt, wir würden abends erst zu zweit essen gehen und uns dann nur in kleiner Runde mit Aiden, Paul und dir treffen. Eigentlich ist inzwischen auch fast alles fertig: Wir haben das Geschenk und jetzt auch die Karte dazu, die Leute sind eingeladen, und die meisten haben auch schon zugesagt. Aiden hat irgendwas mit dem Besitzer vom Heaven ausgehandelt, dass wir den Club an dem Abend fast für lau haben können, wenn Goodbye April an zwei Wochenenden ohne Gage auftritt. Getränke müssen natürlich trotzdem alle selbst zahlen. Auf Spotify habe ich auch schon eine Playlist für den Abend erstellt, die schicke ich euch aber auch noch einmal, falls ihr gerne irgendetwas hinzufügen wollt.« Trish hielt kurz inne und schien nachzudenken. »Also eigentlich ist alles geregelt. Aiden scheint noch irgendetwas zu planen, aber er will einfach nicht damit rausrücken. Und du kennst mich: Ich platze vor Neugier!«

  Während Trish erzählte, waren ihre Hände wild gestikulierend durch die Luft geflogen, ein begeistertes Blitzen in den grauen Augen. Und unwillkürlich entwich mir ein leises Lachen, als mir die Ähnlichkeit auffiel: »Oh. Mein. Gott. Du bist wie Caroline Forbes aus Vampire Diaries . Du bist zwar nicht so ein krasser Kontrollfreak wie sie, aber blond, wahnsinnig hübsch und organisierst gefühlt jede Party und jedes Event, planst jeden gemeinsamen Trip. Denk nur an Thanksgiving oder meinen Geburtstag. Oder als du dieses Jahrestagsding für Bowie geplant hast«, zählte ich nach und nach auf.

  »Ähm … danke?«

  »Das war ein Kompliment«, erklärte ich und trank einen Schluck von meinem White Chocolate Mocha. »Ich liebe Caroline! «

  »Dann bin ich gern so«, sagte Trish und strahlte mich an. »Aber nochmal wegen dieser Sache, die Aiden da offensichtlich plant …« Sie warf mir einen flehenden Blick zu.

  »Vergiss es!«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Ich werde Aiden nicht für dich ausquetschen und versuchen, etwas aus ihm herauszukriegen. Da musst du schon selbst mit ihm reden.«

  Schmollend schob Trish ihre Unterlippe nach vorn. »Das hab ich schon versucht, aber du kennst das doch. Wenn er will, kann er schweigen wie –«

  »Ich bin kurz davor, das mit dem Kontrollfreak wieder zurückzunehmen«, zog ich sie auf. »Was auch immer Aiden vorhat, so wie ich ihn kenne, wird es super. Denkst du echt, er würde irgendwas planen, was Bowie nicht mega cool finden würde?«

  »Ich wollte ja auch schon Paul darauf ansetzen, aber der hat scheinbar vergessen, wie man ans Handy geht, geschweige denn auf Nachrichten antwortet. Ich hab also einen besten Freund, der ein Geheimnis vor mir hat, und einen, der untergetaucht ist«, beschwerte Trish sich theatralisch.

  Mein Herz stolperte bei der Erwähnung seines Namens.

  Es war zwar nicht das erste Mal, dass jemand in meinem Beisein von Paul sprach, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte – das ließ sich einfach nicht vermeiden, wenn ich Zeit mit Trish und Aiden verbringen wollte. Aber es war das erste Mal, dass es keine Fluchtmöglichkeit gab. Hier waren nur Trish und ich und meine Mauern, die Paul mit seinem tiefen, ehrlichen Lachen, seinem Weltschmerz-Herzen und seiner wilden und zugleich sanften Art niedergerissen hatte und die ich erst wieder aufbauen musste. Zögerlich öffnete ich den Mund, nur um ihn sofort wieder zu schließen. Kurzerhand hob ich das hohe Glas mit dem White Chocolate Mocha an meine Lippen. Wenn ich etwas trank, konnte ich schließlich nicht reden.

  »Sag mal, Lou«, fing Trish plötzlich ungewohnt vorsichtig an, »ich wollte mich wirklich zusammenreißen und warten, bis du es von selbst ansprichst, aber …« Sie musterte mich nachdenklich, und ich hielt ihrem Blick stand. »Ich hab Paul und dich kein einziges Mal zusammen gesehen, seit er wieder auf dem Campus ist. Also nicht, dass ich ihn groß zu Gesicht bekommen hätte.« Trish verdrehte die Augen. »Aber … gerade eben hast du schon wieder so seltsam geschaut, als ich ihn erwähnt habe. Ist alles in Ordnung bei euch?«

  Ich blinzelte, strich mir unruhig eine meiner Locken hinters Ohr und schwieg. Es gab nichts zu sagen und gleichzeitig so unglaublich viel.

 
; Trish lächelte mich entschuldigend an. »Ich weiß, ich hätte noch ein bisschen abwarten sollen, weil du nicht wirklich gern über so etwas redest. Ich will eigentlich auch nur, dass du weißt, dass du es mir sagen kannst, falls etwas ist!«

  Und in diesem Augenblick merkte ich, dass ich meine echten Gefühle, all die Risse und Splitter in mir nicht verstecken musste, zumindest nicht vor Trish. Ich erkannte die Sorge in ihren grauen Augen, das ehrliche Interesse und den Wunsch, für mich da zu sein, sollte es irgendein Problem geben. Mit dem wärmenden Gefühl meines Mochas zwischen den Fingern begann ich ganz langsam, von der Wut zu erzählen. Von der Sehnsucht, der Traurigkeit und Verwirrung, von meiner letzten Begegnung mit Paul – angefangen bei der Tatsache, dass er mir mit keinem Wort Bescheid gegeben hatte, dass er wieder zurück war, bis hin zu der kalten Art, mit der er mich weggeschickt hatte, als ich ihn in seiner WG zur Rede hatte stellen wollen. Ich vermisste Paul, brachte unsere Tage vor Weihnachten, in denen ich mich ihm so unendlich nah gefühlt und er so befreit von seinen Schatten gewirkt hatte, nicht mit seinem wahnsinnig abweisendem Verhalten zusammen.