Wir sind der Sturm Read online

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  Ich wollte nichts mehr, als sie sehen, ihr weiches Lachen hören und sie spüren, so sehr, dass es einfach nur wehtat. Und gleichzeitig machte mir die Vorstellung unfassbar Angst, weil ich nicht garantieren konnte, das Richtige zu tun, sobald ich ihr das nächste Mal gegenüberstand. Jetzt, wo ich den Fehler gemacht hatte, zu lieben, nein, sie zu lieben. Also ging ich ihr aus dem Weg, hielt mich tatsächlich fern von ihr. Ich ignorierte ihre Anwesenheit, so gut es eben möglich war, ging nur ins Firefly, wenn ich mir sicher war, dass sie nicht arbeitete. Trish und Aiden waren ungewollt zu unserem Puffer geworden.

  Keine Nähe, keine Dates und vor allem keine Gefühle – diese Regeln hatte ich nicht zum Spaß aufgestellt, und es war an der Zeit, dass ich zurück zum Anfang ging. Dass ich wieder die Version meiner selbst wurde, die ich gewesen war, bevor ich dieses Mädchen mit den Ozeanaugen und der ganz eigenen Sicht auf die Welt kennengelernt hatte. Aiden hatte recht: Ich musste aufhören, mich zu verkriechen. Vielleicht sollte ich auch aufhören, die Nachrichten von Trish und Luca zu ignorieren. Einsamkeit machte die Spiralen meiner Gedanken nur schlimmer. Ich musste raus in die Welt und leben. Weiter leben, nur eben ohne Louisa, mich wieder von One-Night-Stand zu One-Night-Stand vögeln, um damit diese verfluchte Leere in mir zu füllen.

  Am Mittwoch war ich deshalb zusammen mit Taylor, Luke und ein paar Jungs aus meinen Kursen in eine Bar in Redstone gegangen. Ich hatte vor dem Eingang geraucht, eine Hand auf dem festen Hintern von einem Mädchen, das ich gerade einmal fünfzehn Minuten vorher kennengelernt hatte. Und gerade als sie mir etwas Schmutziges ins Ohr flüsterte, das mich eigentlich in Fahrt bringen sollte, dachte ich einen flüchtigen Moment lang, Louisa vorn an der Kreuzung stehen zu sehen. Ein Blick auf wehende Locken und ein orangenes Schimmern im Licht der Laternen. Doch das konnte nicht sein. Aiden hatte in der Cafeteria erwähnt, dass Trish und Louisa sich zum Lernen treffen wollten. Sicher saßen die beiden gerade in der Bibliothek oder waren inzwischen längst im Firefly, um dort mit den anderen den Abend zu verbringen. Gott, ich dachte daran, wie weh es ihr tun würde, mich so zu sehen. Andererseits war es genau das, was ich mir erhoffte: Louisa von mir zu stoßen, damit sie die Wahrheit niemals erfahren musste und glücklich werden konnte – mit einem Mann, der sie verdient hatte. Und doch hatte das schlechte Gewissen sich in diesem Augenblick in mir breitgemacht, dabei gab es da diese weitaus schlimmere Sache, wegen der ich mich ihr gegenüber schuldig fühlen sollte.

  »Hey.«

  Ich sah vom Handydisplay auf, nachdem ich die vier Wörter ein letztes Mal gelesen hatte. Zur Hölle, ich sollte diesen ganzen Chatverlauf einfach löschen. Ein für alle Mal.

  »Ich würde jetzt gehen. Kommst du mit?«

  Ein fragender Blick, ein aufreizendes Lächeln und sich im Takt der lauten Beats wiegende Hüften. Kurz blickte ich mich um, konnte sowohl Luke als auch seine Mitbewohnerin nirgends entdecken. Dieses Mädchen und ich, wir wollten beide vergessen. Doch jemanden zu vergessen, den man geliebt hatte, war genauso schwer, wie sich an jemanden zu erinnern, den man nie getroffen hatte.

  Ich nickte trotzdem, schob das Handy zurück in meine Hosentasche und folgte ihr nach draußen in den Gang. Plötzlich waren da nur noch sie und ich und meine Gedanken. Wir fingen schon im Aufzug an, miteinander herumzuknutschen. Ich presste sie gegen die verspiegelte Innenverkleidung, umfasste mit einer Hand das Bein, das sie mir keuchend um die Hüfte legte, während ich Louisa in den hintersten Winkel meines Verstandes zu schieben versuchte. Und ich ignorierte das stechende Gefühl an meiner rechten Seite, immer noch beim Einatmen, beim Ausatmen. Eine Erinnerung an den Unfall.

  Als sie vier Stockwerke weiter oben die Tür zu ihrem Zimmer aufschloss, fragte ich sie nach ihrem Namen, auch wenn es eigentlich keine Bedeutung hatte.

  Und als sie kurze Zeit unter mir lag und meinen schrie, vergaß ich nur für diesen einen gestohlenen Moment, wie kaputt ich war. Wie verdammt kaputt das alles hier war.

  Louisa

  Feiner Staub tanzte in der Luft und ließ sich auf den Schwarz-Weiß-Aufnahmen an den Wänden nieder. Und für einen Moment verlor ich mich in dem Anblick der Fotografie, die über dem Tisch neben dem Eingang hing. Sonst war sie nur eine von vielen im Firefly, doch heute ließ irgendetwas an ihr meinen Blick immer wieder dorthin wandern. Es war das Bild eines Kusses, nur zwei Gesichter von der Seite, zerzauste Haare im Wind und geschlossene Augen, große, starke Hände, die ein Gesicht umfingen. Man sah nichts und gleichzeitig alles. Und da war sie wieder. Diese schmerzhafte Mischung aus tausend Gefühlen in mir: Enttäuschung, Sehnsucht und Wut. Der Gedanke an diesen einen Mann, der mit seinem offenen Lachen mein Herz berührt hatte, bevor er gegangen war, ohne aus meinem Leben zu verschwinden.

  »Ich hab übrigens eine Überraschung für dich!«, sagte Aiden mit einem Blitzen in den blauen Augen und lehnte sich über die Theke zu mir. Ein verschwörerisches Grinsen umspielte seine Lippen.

  Ich blinzelte, versuchte mich auf ihn statt mein Innerstes zu konzentrieren. »Du weißt doch, dass ich keine Überraschungen mag!«, erwiderte ich und bemühte mich trotzdem um ein Lächeln. Ein letzter Blick auf die Fotografie, dann begann ich damit, die dreckigen Tassen von dem Tablett in die Spülmaschine zu räumen. Eine nach der anderen. Ja, eigentlich mochte ich keine Überraschungen, doch egal, was Aiden im Sinn haben mochte – es würde mich womöglich für einen kurzen Moment davon abhalten, in Gedanken immer und immer durchzugehen, wie Trish und ich uns nach dem Poetry Slam im Book Nook auf den Rückweg zum Campus gemacht hatten, den Kopf immer noch voll mit der Sprache und der Magie des Abends.

  Es war schon längst dunkel und ziemlich spät gewesen, als wir durch Redstone gelaufen waren, durch das Licht des Mondes und das der Laternen. An der Kreuzung hatte ich mich in Gedanken umgesehen, bis mein Blick schließlich und wie aus dem Nichts an Paul hängen geblieben war. Rauchend hatte er vor dem Eingang einer Bar gestanden, seine Hand erst selbstverständlich auf dem Hintern eines namenlosen Mädchens, dann in ihrem Nacken, als die beiden angefangen hatten, miteinander herumzuknutschen – und ich bezweifelte stark, dass es nur dabei geblieben war. Trish hatte Paul und das Mädchen, dass sich übertrieben eng an ihn presste, nicht gesehen, nur mich und meinen Gesichtsausdruck. Was denn los sei, hatte sie erschrocken gefragt, und ich hatte nur den Kopf geschüttelt und nichts gesagt. Erst wenige Stunden zuvor hatte ich ihr mein Gefühl gestanden, dass es mit Paul und mir endgültig vorbei sei.

  Ich seufzte, fühlte stechenden Schmerz in meinem Herzen. Wahrscheinlich war es unumgänglich gewesen, ihn so zu sehen – mit anderen Frauen, weil ich in seiner Welt nicht mehr relevant war. Doch es tat weh, es tat so unfassbar weh.

  »Diese wirst du mögen. Versprochen!«, sagte Aiden sanft.

  Verwirrt sah ich ihn an, doch dann fiel es mir wieder ein: die Überraschung. Für einen kurzen Augenblick war da das schlechte Gewissen. Ich wollte nicht, dass Aiden sich Sorgen um mich machte, wie er es seit Pauls Autounfall so oft zu tun schien. Also nickte ich, bevor ich die Spülmaschine schloss und den Waschgang startete.

  Aiden legte seinen Rucksack auf das dunkle Holz der Theke und kramte darin herum. Dann drückte er mir eine Zeitschrift in die Hand. Die Titelseite glänzte im Licht der Lampen und die geraden, schnörkellosen Großbuchstaben des Titels hoben sich vom Rest ab. Storylines stand dort. Direkt daneben war in der oberen Ecke das kreisrunde Logo des Redstone Colleges mit dem Berglöwen in der Mitte.

  »Die Januar-Ausgabe«, sagte Aiden mit einer Mischung aus Enthusiasmus und Stolz in der Stimme. Es war zwar schon Ende Januar, doch die Storylines erschien immer erst Mitte des Monats. Aiden sagte noch etwas, doch ich hörte ihm schon gar nicht mehr zu, starrte wie gebannt auf die Titelseite mit der dunkelroten Schrift und strich ehrfürchtig mit der Hand darüber, folgte mit den Fingerspitzen den Linien jedes einzelnen Buchstaben und saugte jedes winzige Detail begierig auf. Da erst bemerkte ich den farbigen Klebezettel an der Seite. Ich hob den Blick. »Ist das –«, setzte ich an, und mein Herzschlag begann, sich zu beschleunigen .

  »Yes. Ist es«, bestätigte Aiden meine Vermutung, noch bevor ich zu Ende hatte sprechen können, und lächelte mich verschmitzt
an.

  Tief atmete ich ein und aus und schlug die College-Zeitung dann an der entsprechenden Stelle auf. Eine Doppelseite. Mein Herz flatterte nervös in meinem Brustkorb.

  Gehypte Bücher und wieso sie ihrem Hype gerecht werden

  Direkt darunter: von Louisa Davis

  »Da steht mein Name«, flüsterte ich und konnte gar nicht anders, als Aiden anzustrahlen. Ein Gefühl, so groß und übermächtig wie meine Liebe zu Worten bedingungslos und echt war.

  Aiden nickte, rieb sich dann lachend über das Kinn. »Jap, da steht dein Name.«

  Fast schon hatte ich vergessen, dass ich diesen Text geschrieben und Aiden noch kurz vor Weihnachten geschickt hatte, bevor ich es mir doch noch hatte anders überlegen können. Es war während dieser magischen Tage gewesen, in denen Paul und ich gefühlt allein auf dem Campus zurückgeblieben waren. Als es nur ihn und mich gegeben hatte und jedes Wort, jeder Blick und jede Berührung gesagt hatte, dass er mich liebte. Ich hatte mich stark und frei gefühlt und die Wörter waren unaufhaltsam aus mir herausgeflossen, als ich nachts Pauls warme Arme von meinem Körper gelöst und mich im Wohnzimmer auf das Sofa gesetzt hatte. Und dort hatte ich geschrieben und geschrieben, bis er Stunden später plötzlich hinter mir aufgetaucht war, um mich zurück in sein Bett zu tragen.

  Ich schluckte, denn inzwischen wusste ich, dass das nicht echt gewesen war. Für ihn zumindest nicht auf dieselbe Art wie für mich.

  »Danke«, sagte ich zu Aiden und umrundete im nächsten Moment die Theke, um ihn zu umarmen. Er schien ebenso überrascht davon zu sein wie ich, so schnell lagen meine Arme um ihn, doch dann drückte er mich fest an sich, sein Kinn auf meinen Locken.

  »Wofür denn?«, fragte Aiden. »Das hast du ganz allein geschafft. Du hast das geschrieben, und ganz ehrlich, Lou? Du hast es echt verdammt drauf! Du hast nicht nur eine ganz eigene Sicht auf die Dinge, sondern auch eine besondere Art, sie in Worte zu fassen.«

  Mit meinem Gesicht an seiner Brust nickte ich. Ich hatte es geschafft, war über meinen Schatten gesprungen und hatte Aiden diesen Text gegeben. Einen Text, den jetzt das gesamte College würde lesen können. Der Gedanke war unglaublich, beängstigend und erfüllte mich mit wahnsinnigem Stolz. Meine geschriebenen Worte Schwarz auf Weiß, da draußen in der Welt. Und von meinem Bauch ausgehend, breitete sich ein Kribbeln in meinem Körper aus. Es war dieses schwer zu beschreibende Gefühl, das einen nur in diesen Momenten überkam, in denen man voller Überzeugung wusste, dass gerade etwas wahnsinnig Wichtiges und Bedeutsames geschah.

  Ich löste mich von Aiden und lachte. »Dann eben danke dafür, dass du so schrecklich nervig warst, bis ich endlich eingewilligt habe, etwas für die Storylines zu schreiben.«

  Aiden musterte mich und zog eine Augenbraue in die Höhe. »Ich würde das nicht nervig nennen, Lou, sondern eher … fokussiert und ehrgeizig.«

  Ich stellte mich zurück hinter die Theke und schüttelte grinsend den Kopf, ein Wirbeln meiner Locken in der Luft. »Nenn es, wie du willst. Es ändert nichts an den Tatsachen.«

  Später würde ich Mel ein Foto von meinem ersten Artikel schicken, doch für den Moment wollte ich dieses besondere Gefühl noch auskosten, bevor ich es mit jemand anderem teilte. Ich räumte die Spülmaschine aus und stellte die Tassen zu den anderen auf dem Regal über der Kaffeemaschine. Anschließend ließ ich meinen Blick kurz durch das Firefly schweifen, doch es war immer noch ungewohnt leer. Also machte ich für Aiden und mich noch einen Kaffee und holte den Schokoladenkuchen aus der Vitrine, um uns beiden ein Stück herunterzuschneiden. Dann setzte ich mich auf den Barhocker neben ihm .

  Mit dem dampfenden Becher in den Händen wandte ich mich Aiden zu. »Ich hab da noch ein paar Gedanken. Dinge, über die ich gern schreiben würde«, erzählte ich und merkte erst in diesem Moment, wie wahr meine Worte waren.

  Aiden seufzte erleichtert auf und grinste mich dann frech an. »Gott, ich hatte so gehofft, dass du das sagen würdest«, erwiderte er und schob sich zufrieden eine Gabel Schokoladenkuchen in den Mund. Wir diskutierten über meine Ideen, bis das Bimmeln an der Tür einen neuen Gast ankündigte. Es war Trish, die zusammen mit einem Schwall kalter Luft hereinwehte. Gerötete Wangen und blonde Haare, die fast vollständig unter der Mütze mit dem Bommel verschwanden. Sie umarmte Aiden und drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Ich hab es gerade gelesen, und ich liebe einfach alles daran!«, sagte sie überschwänglich.

  Und das Kribbeln in meinem Bauch, es blieb die ganze Zeit.

  Am Sonntag lag ich abends auf meinem Bett und las Call Me By Your Name . »Nenne mich bei deinem Namen!«, gesprochen in einem Moment der Leidenschaft, dem Verlangen erlegen. Die Bedeutung des Titels kroch mir unter die Haut, ließ mich das Buch nach der letzten Seite atemlos schließen. Die stille Poesie all der gelesenen Wörter hallte in mir nach. Und irgendwo dahinter das Gefühl, als Aiden mir so unerwartet die aktuelle Ausgabe der Storylines gegeben hatte.

  Und dann, mit dem durch die Wohnung wehenden Klang seiner Gitarre, tat ich etwas, das ich ewig nicht mehr gemacht hatte: Mit zitternden Fingern schlug ich mein Notizbuch auf, blätterte durch die Seiten mit den schönsten Wörtern, schluckte schwer, als meine Finger an der Liste mit den klangvollen Namen erfundener Planeten verharrten und ich plötzlich wieder das Vibrieren von Pauls rauem Lachen an meiner Wange zu spüren glaubte. Dann blätterte ich im Schein der unzähligen Lichterketten an der Decke weiter – durch die Seiten mit den schönsten Sätzen und Redewendungen, die ich gelesen oder gehört hatte. Mein Herzschlag begann, sich zu beschleunigen, als ich schließlich über eine leere weiße Seite strich. Das erste Wort kam in die oberste Ecke, mit meiner Schrift, die mindestens so viele Ecken und Kanten hatte wie ich.

  Und dann begann ich, zu schreiben. Ich schrieb, als die sanfte Musik aus Aidens Zimmer leise verklang. Ich schrieb, als die Nacht dunkler und meine Lider schwerer wurden. Ich schrieb, als die Sonne langsam aufging. Ein Rausch aus Worten und Gedanken, mit denen ich die Bilder in meinem Kopf auf Papier malte. Nicht nur schöne Wörter und Sätze, sondern das, was ich wirklich empfand, all die widerstreitenden Gefühle in mir. Das mit Paul und mir mochte ein unfertiger Satz sein, eine nicht vollendete Geschichte, doch hier, mit einem Stift zwischen den Fingern, hatte ich es selbst in der Hand. Und in dieser Version erzählte mir der Kerl mit den Bernsteinaugen, wie die Geschichte enden würde.

  Nepenthe

  4. KAPITE L

  Louisa

  »Einen Teil meines Geschenks habe ich schon gestern Nacht von dieser wunderschönen Frau bekommen«, erklärte Bowie mit einem breiten Grinsen, woraufhin Trish ihr lachend in die Seite boxte. Davon ließ Bowie sich jedoch nicht beirren, zog sie nur enger an sich und drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn. Die schwarzen Fransen ihres Ponys fielen ihr dabei tiefer in die Augen.

  Wie immer wenn ich die beiden zusammen sah, war da dieses Ziehen in mir – Trish und Bowie hatten inzwischen einen festen Platz in meinem Herzen, jeder für sich allein und als Paar. Und dennoch tat es weh, immer direkt vor mir zu sehen, was ich letztes Jahr noch gehabt und inzwischen wieder verloren hatte. Ich wünschte, ich hätte niemals erfahren, wie vollständig ich mich hatte fühlen können. Ich blinzelte, kämpfte mich aus dem Nebel meiner eigenen Gedanken zurück in das Hier und Jetzt. Das hier war Bowies Geburtstag und alles andere als der richtige Zeitpunkt, um mich in meinen Gefühlen zu verlieren.

  »Bekomme ich jetzt meine Überraschung?«, fragte sie ungeduldig und strahlte erst Trish, dann mich aufgeregt an. Mit dem bunt gepunkteten Rock, dem Klirren ihrer Armreife und dem Shirt mit dem Schriftzug I’m not a Princess, I’m the Queen unter ihrer Jacke wirkte sie in diesem Moment eher wie ein Teenager als wie die volljährige Frau, die sie seit heute war. Und dieses Mal war erst mein Lächeln und schließlich mein leises Lachen nicht bemüht, sondern echt. Ich zog das schwarze Haarband, das ich extra für diesen Zweck eingepackt hatte, aus der Tasche und bedeutete Bowie, sich vor mich zu stellen. Ein fester Knoten, und die schmale Straße und der Eingang des Heaven auf der anderen Seite verschwanden für sie hinter dem Stoff. Zu dritt überquerten wir die Straße und stiegen die Treppe in das Heaven nach unten, Bowie in unser
er Mitte.

  Schwarze Wände, von denen der größte Teil mit Plakaten übersät war, und überall Menschen, die in dem relativ kleinen Club eng zusammenstanden und uns die Gesichter gespannt zugewandt hatten: Aiden, Isaac, Taylor, Luke. Irgendwo auch Paul und die ganzen Theaterleute, die Bowie aus ihren Kursen und Vorlesungen kannte. Außerdem hatten die meisten noch jemanden mitgebracht. Es war unnatürlich still, als wir stehen blieben und Bowie schließlich die Augenbinde abnahmen. »Überraschung« und »Happy Birthday!« riefen alle durcheinander und zogen Bowie nacheinander in die Arme.

  Dann drehte jemand die Musik auf, schnelle Beats, die gegen die Wände hämmerten und das laute Stimmengewirr und Gelächter schluckten. Auf einem Teil der Bar stapelten sich Geschenke. Das Papier der Päckchen schimmerte im schummrigen Licht des Clubs. Daneben standen schon eine Unmenge an Shots bereit – durchscheinende, glitzernde Flüssigkeit in Regenbogenfarben.

  »Das ist der verdammte Wahnsinn!«, schrie Bowie gegen die Musik an und umfasste mit einer vagen Geste den Club, all ihre Freunde, den Kuchen mit brennenden Kerzen, den Isaac gerade hereintrug, und das Meer aus Luftballons an der Decke, das sich wegen des Basses in Wellen leicht auf und ab bewegte. Mit fest zusammengekniffenen Augen blies Bowie die Kerzen aus, dann zog sie Trish an sich und küsste sie so stürmisch, dass irgendwann alle zu johlen anfingen und sie sich lachend von ihr löste. Bowies Lippen formten ein lautloses Danke . Mir wurde warm bei diesem Anblick. Es war so schön, zu sehen, wie sehr sie sich freute!

  Nachdem Bowie ihre Geschenke ausgepackt hatte, stellte Paul sich mit seiner Polaroid-Kamera auf die Bühne und bedeutete uns allen zusammenzurücken – mit Bowie in der Mitte. Wir waren zu viele Leute, das Heaven zu eng für uns alle, aber von dort oben schaffte er es offensichtlich, alle auf das Bild zu bekommen. Er lächelte zufrieden und drückte ihr das fertige Foto in die Hand. Als er kurz darauf wieder auf die Bühne trat – dieses Mal mit seiner Gitarre, dicht gefolgt von Aiden, der seine ebenfalls locker in der Hand hielt, sammelten sich in Bowies Mandelaugen erste Tränen.