Wir sind das Feuer: Roman (Redstone-Reihe 1) (German Edition) Read online




  Zum Buch

  Louisa Davis’ Haare sind so rot wie das Feuer, das ihr Leben vor fünf Jahren verschlungen hat. Mit dem Umzug von ihrer kalifornischen Heimat ans Redstone College im viele Meilen entfernten Montana will sie die schmerzhaften Erinnerungen endlich hinter sich lassen. Dort angekommen genießt Lou gemütliche Stunden im Café Firefly, wo sie sich in Liebesromanen verliert, bis ihr die Kellnerin unvermittelt einen Job anbietet. Noch in Gedanken läuft sie beim Verlassen des Cafés prompt in den attraktiven Paul Berger hinein. Sie kann sich seinen Blicken nicht entziehen. Da ist etwas, das ihr seltsam vertraut vorkommt.

  Auch Paul ist fasziniert von dem »Feuermädchen«, das ihm seit dem Zusammenstoß nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Doch für Gefühle ist in seinem Leben eigentlich kein Platz. Zu groß ist die Schuld, die er auf sich geladen hat und von der niemand etwas wissen darf – am allerwenigsten Louisa.

  Zur Autorin

  Sophie Bichon wurde 1995 in Augsburg geboren und studiert Germanistik. Ihre Bachelorarbeit beschäftigt sich mit der Liebe in der Literatur, weil ihrer Meinung nach letztendlich jeder Roman von der Liebe handelt. Schon immer hat sie das Schreiben geliebt. Deswegen trägt sie auch stets ein Notizbuch bei sich, in dem sie ihre Ideen festhalten kann. Wenn sie nicht gerade schreibt, lässt sie sich von Musik und den Verrücktheiten des Lebens inspirieren, überlegt sich neue Tattoomotive und träumt von der Weltreise, die sie eines Tages machen möchte. Wir sind das Feuer ist ihr erster Roman.

  Instagram: @sophiebichon.autorin

  Pinterest: @sophiebichon

  SOPHIE BICHON

  Roman

  WILHELM HEYNE VERLAG

  MÜNCHEN

  Dieses Buch ist ein Werk der Fiktion. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen sowie tatsächlich existierenden Einrichtungen oder Unternehmen ist rein zufällig und in keiner Weise beabsichtigt.

  Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

  Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

  Originalausgabe 03/2020

  Copyright © 2020 dieser Ausgabe

  by Wilhelm Heyne Verlag, München,

  in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

  Neumarkter Str. 28, 81673 München

  Redaktion: Steffi Korda, Büro für Kinder- & Erwachsenenliteratur, Hamburg

  Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München,

  unter Verwendung von FinePic®, München

  Satz: Leingärtner, Nabburg

  ISBN: 978-3-641-24978-6

  V002

  www.heyne.de

  Für Giorgio,

  eine der schönsten Seelen,

  denen ich in meinem Leben begegnet bin.

  Danke für deine Gutmütigkeit,

  deinen unerschütterlichen Glauben an mich, dein großes Herz. Und deine Liebe zur Literatur.

  Ohne dich wäre ich nicht die Frau, die ich heute bin.

  Mancher Mensch hat ein großes Feuer in seiner Seele,

  und niemand kommt, um sich daran zu wärmen.

  Vincent van Gogh

  PLAYLIST

  Ocean Eyes von Billie Eilish · Spanish Sahara von Foals · Supermassive Black Hole von Muse · Peanut Dreams von Grand National · You would have to lose your Mind von The Barr Brothers · The Less I Know The Better von Tame Impala · On Melancholy Hill von Gorrilaz · Fine Corinthian Leather von Charlie Hunter · Consequence von The Notwist · Summer Years von Death Cab for Cutie · Wonderwall von Oasis · Obstacles von Syd Matters · Don’t Call my Name von Skinshape · Untold von RY X · Come as You are von Nirvana · Shut me down von Haute

  VOR FÜNF JAHREN

  Louisa

  Dieser Tag hatte begonnen wie jeder andere. Der Morgen war sonnig gewesen, die Nacht war stürmisch. Ich erwartete nichts Besonderes. Vor allem nicht, als ich in der Dunkelheit mein Lieblingslied im Radio lauter drehte. Doch dann, als der Regen zunächst sanft, dann immer stärker auf das Autodach trommelte und gegen die Scheiben prasselte, passierte es: Ein Krachen – und meine Welt hielt den Atem an, war still und laut zugleich. Grelle Feuerflammen fraßen sich durch mein Leben, und das, was sie zurückließen, war schlimmer als Dantes Inferno.

  Geschundenes Herz

  1. KAPITE L

  Louisa

  Gedankenverloren rührte ich unablässig den cremigen Schaum mit dem Löffel von rechts nach links, während ich auf meinen Mitbewohner Aiden wartete, den ich gerade einmal seit 48 Stunden kannte. Die Septembersonne strahlte so hell durch die Fensterfront, dass ich den Staub in der Luft tanzen sah. In Zeitlupe ließ er sich auf den Schwarz-Weiß-Aufnahmen an den rot gestrichenen Wänden nieder. Diesem Moment in der kleinen Nische im Firefly wohnte etwas Magisches inne. Die Magie des Neubeginns? Vor mir auf dem dunklen Holztisch lag meine zerfledderte Ausgabe von Alles Licht, das wir nicht sehen . Tausend Mal gelesen. Ein halbes Tausend Mal aus Versehen geknickt. Und ein Viertel davon mit Gedanken am Rand beschriftet, die mir wichtig erschienen und keinen Aufschub duldeten. Daneben mein ledernes Notizbuch, in dem alle besonderen Augenblicke und Wörter ihren Platz fanden, um zu meinen kleinen und großen Geschichten zu werden.

  Während ich weiter in meiner Tasse rührte, schwappte der Kaffee von Tassenrand zu Tassenrand. Da gab es diesen einen Gedanken, der sich in meinem Kopf festgesetzt hatte. Als würde er sich dadurch vertreiben lassen, schüttelte ich aus einem Impuls heraus meine Locken und … griff ins Leere, jetzt, wo mich die Spitzen nur noch an den Schultern kitzelten.

  »Hey, coole Haare! Gefällt mir!« Die Bedienung mit der bordeauxroten Schürze, die gerade an den Tisch gekommen war, platzierte den Schokoladenkuchen zwischen Roman und Kaffeetasse.

  Meine Haare hatten die Farbe des Feuers, das mich vor zweitausend Tagen fast von innen und beinahe auch von außen verbrannt hätte. Keine trendige Farbe. Ich zuckte abwesend mit den Schultern und hatte schon im nächsten Moment ein schlechtes Gewissen wegen dieser ablehnenden Geste. Ich blickte der Bedienung ins Gesicht, und sie lächelte mich aufrichtig an. Wahrscheinlich hatte sie es nur nett gemeint. Für einen kurzen Moment sah sie sich in Richtung Theke um, nur um sich wenig später in den grünen Sessel mir gegenüber fallen zu lassen. Ihre blonden Haare waren zu einem nachlässigen Dutt gebunden. Ein paar Strähnen fielen seitlich heraus, was das freche Funkeln in ihren grauen Augen unterstrich. In aller Seelenruhe griff sie nach meinem Buch und las den Klappentext, während sie an dem goldenen Ring in ihrer Nase spielte. »Ist das nicht ein bisschen düster?« Sie sah mich ehrlich interessiert an.

  Ich zuckte unmerklich zusammen. Es war mir unangenehm, wenn mir fremde Menschen zu nahe kamen. Nicht körperlich, sondern emotional. Aber dieses Mädchen wirkte … nett, auch wenn ich den Grund dafür nicht wirklich in Worte fassen konnte. Vielleicht war es die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich einfach so zu mir gesetzt hatte. Ohne mich zu fragen. Normalerweise hätte mich das ungemein gestört, doch etwas an ihr erinnerte mich an meine Schwester Mel, die ich schon jetzt vermisste, obwohl ich durch meinen Umzug nach Redstone nun endlich wieder in ihrer Nähe war.

  »Inwiefern?«, kam es mir über die Lippen, und ich blickte von ihr zu dem Buch, das sie noch immer in der Hand hielt.

  »Zu viel klischeehaftes Nazi-Gruselkabinett? Du weißt
schon …«, sagte sie und zuckte entschuldigend mit den Schultern.

  »Weiß ich nicht«, sagte ich schlicht, noch immer etwas irritiert von ihrer Direktheit.

  Dann begann sie von Romanen, von Geschichten über den Zweiten Weltkrieg und von Helden zu erzählen. Das weiß ich nur, weil ihr Mund sich durchgehend öffnete und dann wieder schloss. Denn ich zog mich mehr und mehr in mich zurück. Ich war die Protagonistin eines Films, in dem der Ton immer leiser gedreht wurde. Plötzlich war ich wieder vierzehn Jahre alt und hielt mir die Ohren zu, weil ich den Lärm da draußen nicht mehr ertrug – und meine eigenen Schreie.

  Ein Fingerschnipsen direkt vor meinen Augen holte mich ins Hier und Jetzt zurück.

  »Und? Was sagst du?«, fragte mich die Kellnerin, die ihre Ausführungen offensichtlich beendet hatte.

  Was sagte ich wozu? Verständnislos blickte ich sie an. Mein rasendes Herz passte nicht zu der freudigen Erwartung in ihrem Gesicht.

  »Na, wann kannst du anfangen?«

  »Anfangen?«, echote ich, immer noch gefangen in meinen Gedanken.

  »Na hier im Firefly! Du hattest schon diesen träumerischen Ausdruck auf deinem Gesicht, als du den Kaffee zum ersten Mal gerochen hast. Der ist hier natürlich ganz besonders fantastisch.« Sie zwinkerte und fragte erneut: »Und? Möchtest du jetzt gleich starten?«

  Ich blickte in ihr erwartungsvolles Gesicht, und so langsam sickerte es zu mir durch: Sie hatte mir einen Job angeboten.

  »Ähm … ich soll hier arbeiten?«

  »Jap! Du liebst es hier doch jetzt schon.«

  Da lag sie gar nicht so falsch. Diese Wie-aus-einer-anderen-Zeit-Atmosphäre hatte mich sofort für sich eingenommen, und mein Erspartes würde auch nicht sonderlich lange reichen. Früher oder später müsste ich mich sowieso nach einem Job umsehen, um mein WG-Zimmer bei Aiden auch künftig bezahlen zu können. Ich hatte sowieso schon großes Glück gehabt, dass ich so kurzfristig noch etwas auf dem Campus gefunden hatte. Die meisten Zimmer waren seit Wochen vergeben. Aber was einen Job als Kellnerin anging: Wenn ich ehrlich war, dann hatte ich mir für den Anfang doch eher etwas … nun ja, etwas Ruhigeres vorgestellt.

  »Okay, wir brauchen hier echt dringend jemanden!« Sie beugte sich über den kleinen Tisch noch näher zu mir heran und senkte vertraulich die Stimme: »Hannah wurde nämlich vor ein paar Tagen gefeuert. Unser Chef hat sie hinten im Lager erwischt. Und zwar nicht mit irgendjemanden, sondern mit diesem neuen Dozenten für Literatur. Du kannst dir sicher vorstellen, was hier los war.« Sie verdrehte lachend die Augen.

  Ich sah das Mädchen weiterhin verwundert an und wollte ihr Angebot schon ausschlagen, als ich mich an einen meiner Vorsätze erinnerte: Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht mehr alles zu zerdenken. Ich wollte spontaner sein. Unwillkürlich griff ich an mein linkes Handgelenk, an dem gestern noch ein Armband mit bunten Perlen geleuchtet hatte. Sie hatten an mir geklebt wie letzte Erinnerungen. Aber ich war jetzt frei zu tun, was ich wollte.

  Im Gegensatz zu Mel hatte ich vor fünf Jahren den Halt verloren. Egal, wie sehr ich strampelte, meine Zehenspitzen bekamen den Boden einfach nicht zu fassen. Ich merkte selbst, wie ich mich verändert hatte: Wie ich immer ernster, schweigsamer und verschlossener geworden war. Ich hatte mich immer weiter entfernt von der, die ich gewesen war.

  »Okay«, sagte die Bedienung gedehnt, »ich muss dir etwas gestehen. Dein Mitbewohner, der rein zufällig mein bester Freund ist, hat mir erzählt, dass du hier auf ihn wartest und dass du dringend einen Job suchst. Eine Win-win-Situation also!«, fügte sie erwartungsvoll hinzu.

  Ich seufzte. Die Kellnerin war dann also Trish, Aidens beste Freundin. Und plötzlich war ich mir sicher, dass mein Mitbewohner nicht mehr auftauchen würde. Offensichtlich hatte er mich hierher gelockt, um mir einen Job zu besorgen.

  »Wieso wundert mich das jetzt gar nicht?«, murmelte ich vor mich hin.

  »Glaub mir, so war er schon im Kindergarten. Seine Fürsorge hat …«, nachdenklich suchte Trish nach dem richtigen Wort, »etwas, sagen wir einmal, Übergriffiges.«

  Ich nickte heftig und begann an meinen Fingern aufzuzählen: »In den vergangenen 24 Stunden hat er ungefragt meine Bücher ausgepackt und nach Farben sortiert ins Regal gestellt, mir Pizza mitgebracht und mir den Plan für die Mathekurse ausgedruckt.«

  Trish lachte. »O Gott, das klingt wirklich zu hundert Prozent nach Aiden. Du Arme! Wenn man ihn nicht kennt, kann das ganz schön viel auf einmal sein. Aber man kann ihm nichts übel nehmen, weil …«

  »… er dieses süße Grinsen hat«, vervollständigte ich den Satz und versuchte mich an einem Lächeln.

  Als wir wegen Aidens Eigenarten lachten, wurde mir bewusst, dass ich dieses Mädchen mochte. Sie war ehrlich. Und sie schien kein Problem mit meiner verschlossenen Art zu haben. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, endlich über meinen Schatten zu springen. Nach Jahren, in denen ich stets geplant und immer Nein gesagt hatte, beschloss ich, spontan zu sein.

  »Okay, ich mach es!«, sagte ich möglichst euphorisch. Auch wenn mir dabei etwas mulmig zumute war.

  Das war einer dieser Wendepunkte. Ein Zwischendrin. Mein altes Leben haftete noch an mir, aber ab heute wollte ich nicht mehr die tragische Heldin, sondern die Erzählerin meiner Geschichte sein.

  Im Minutentakt schwang die Tür auf und wieder zu. Immer begleitet von einem leisen Bimmeln und noch mehr Gästen. Trish brauchte so dringend Hilfe im Firefly, dass sie mich bat, gleich dazubleiben. Und noch einmal sprang ich über meinen Schatten. Ein Game-of-Thrones -Abend war Aidens Friedensangebot, als ich ihm mit einem Augenrollen schrieb, dass sein Plan aufgegangen war. Er versprach mir sogar, dass wir meine Lieblingsstaffel sehen würden – er wusste zum Glück noch nicht, dass das alle waren.

  So verbrachte ich also die nächsten Stunden mit dem Balancieren von Tabletts und dem Aufnehmen von Bestellungen. Das Gute daran: Ich hatte ständig etwas zu tun und somit gar keine Zeit, mich erneut in meinen Gedanken zu verlieren. Nur eine Nachricht meiner Schwester holte mich kurzzeitig in die Realität zurück. Neun Wörter:

  Und du möchtest sie nicht doch noch kurz anrufen?

  Da war sie wieder, die Frage, die mir Mel bereits vor wenigen Tagen gestellt hatte und deren Gewicht mich in den Sitz des kleinen Fiats gedrückt hatte, als ich vom Haus meiner großen Schwester Richtung Campus losgefahren war. Eine Antwort war ich ihr noch immer schuldig.

  Mom , das war inzwischen ein Wort, das ich nicht einmal mehr denken wollte. Diese Nacht hatte unser aller Leben zerstört, aber ich war das Kind gewesen. Ich war die gewesen, die eine Mutter gebraucht hätte. Stattdessen hatte ich die Jahre damit verbracht, erwachsen zu sein.

  Die gemütlich, aber chaotisch angeordneten Tische entpuppten sich als gefährliche Stolperfallen. Ohne den Plan des Cafés mit allen Tischen und Nummern über der Kasse wäre ich heillos überfordert gewesen. In den Atempausen erklärte Trish mir den Rest. Die Kaffeemaschine. Das Lager. Sie zeigte mir die Kommode neben der Theke, in der sich frische Tischdecken, Zuckerdosen und dunkelgrüne Karten stapelten. Danach führte sie mich in den hinteren Bereich, wo sich der kleine Mitarbeiterraum mit dem abgewetzten braunen Sofa befand. Direkt daneben war das Büro von Brian, dem das Firefly gehörte, ein riesiger Typ mittleren Alters mit kurzen, schwarzen Haaren und einem kleinen Wohlstandsbäuchlein. Durch die offene Tür nickte er mir nur abwesend zu, und Trish erwähnte, dass er ihr freie Hand ließ, wenn es um Personalfragen ging.

  Als die Tür hinter dem letzten Gast ins Schloss fiel, drehten wir die Musik auf. Erst abends würde es hier weitergehen. Jetzt hieß es Einsammeln des dreckigen Geschirrs und Polieren der gespülten Gläser im Takt von Supermassive Black Hole von Muse. Währenddessen sog ich Trishs witzige Geschichten auf und lachte an den richtigen Stellen. Sie schaffte es, jede noch so kleine Banalität wie ein Abenteuer klingen zu lassen .

  »Wie gefällt dir Redstone bis jetzt?«, wollte sie schließlich wissen, als wir uns mit zwei riesigen Kaffeebechern im Gilmore-Girls-Stil in die grünen Sessel fallen ließen.

  Ich überlegte, wie ich es vermeiden konnte, etwas über mich als Menschen zu verraten. Trotzdem lächelte ich bei dieser F
rage. Unwillkürlich musste ich an das Gefühl von Freiheit auf dem Highway denken: die Rocky Mountains im Rücken, die Sonne und den strahlend blauen Himmel vor mir. Meine Heimat Kalifornien war der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA. Hier in Montana hatte ich das Gefühl, endlich wieder richtig atmen zu können: Gerade einmal eine Million Einwohner zwischen Bergen, Flüssen und Seen. Zwischen endlosem Blau und unendlichen Weiten.

  »Ich mag es«, sagte ich schlicht und ehrlich. Im Schneidersitz saß ich Trish gegenüber und leckte mir den Schaum von den Lippen. Der Kaffee war tatsächlich fantastisch.

  Plötzlich befürchtete ich, dass sie nachhaken könnte. Fragen zu meinem Umzug. Meiner Heimat. Zu mir. Überall Risse und Splitter. Wo hätte ich da anfangen sollen? Ich hielt die Luft an.

  »Lass dich von der Kleinstadtatmosphäre nicht täuschen«, meinte sie augenzwinkernd, und ich atmete erleichtert aus. »In Redstone gibt es so viele schöne Cafés und Bars. Einmal im Monat hat Aiden mit seiner Band Goodbye April in irgendeiner einen Auftritt, zu dem wir alle gehen. Irgendwas geht hier echt immer. Vor allem in den Wohnheimen steigt eigentlich jeden Tag irgendeine Party. Und dann gibt es noch die ganzen Clubs und Veranstaltungen auf dem Campus.« Trish schien kaum Luft holen zu müssen, denn sie redete schon weiter: »Aiden kennst du ja schon. Oh, und Paul musst du auch noch unbedingt kennenlernen. Wir drei waren in New Forreston zusammen auf der Highschool, und … eigentlich haben wir zusammen nur Mist gemacht.« Trish lachte und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Wir wollten natürlich auf das gleiche College gehen, aber weil ich ein Jahr jünger bin, musste ich das letzte Jahr ohne meine Jungs verbringen. Und, glaub mir, das war auf jeden Fall nicht so lustig wie mit ihnen.«

  Automatisch musste ich an Leah denken, meine eigentlich beste Freundin. Es gab Menschen, mit denen an der Seite einfach alles besser zu sein schien.